Tagebuch

Tagebuch – Claus Mischon über das Schreiben

Schreiben von A – Z
Zu jedem Buchstaben des ABC assoziiere ich Wörter/Begriffe/Metaphern, die mir zum Thema Schreiben einfallen. Daraus wähle ich die Wörter, die mich am meisten reizen und notiere rund um diese Impulswörter meine Assoziationen zum Schreiben.

Anfang
Man muß anfangen. Den ersten Satz schreiben, dann hat man schon einen. Und weiter geht es mit dem zweiten, dem dritten. Schreiben heißt auch: losschreiben.

Chaos
Da ist ein Spuk in deinem Kopf. Da kratzt einer deine innersten Bilder mit einem Messer an. Da ist auf einmal Spannung bis zum Platzen. Und dann platzt das Chaos.

Goethe
Vergessen Sie Goethe. Ich vergesse immer Goethe. Ich denke beim Schreiben nie an Goethe. Und ich schreibe jeden Tag.

Jetzt
Schreiben ist immer vollendete Gegenwart. Was du jetzt denkst, kommt etwas später an auf dem Papier. Aber was du jetzt denkst, schreibe es hin, sonst ist es weg. Schreiben duldet den Aufschub nicht, es ist langsam genug. Unendliche Annäherung: Denken auf dem Papier.

Jagd
Wenn das Schreiben zur Jagd wird, dann jage. Scheue dich nicht, ein Wort bis in den letzten Winkel zu verfolgen. Ich habe schon stundenlang Wörter eingekreist. Was heißt stundenlang? Lebenslang jage ich beim Schreiben Wörtern hinterher.

Landausflug
Und ich werfe alles hin, ich lasse alles liegen, wenn ein Text auf der Stelle tritt. Ich nehme mein Notizbuch, meinen Stift und ab geht es, raus mit der Bahn, raus auf’s Land. Zwischen die Bäume, auf die Wiesen, an die Theke im Dorfkrug und ich schreibe, was mir das Land zu erzählen hat.

Lust
Lust ist eine gute Sache. Und wenn sie nicht da ist, greife zum Trick. Zum Beispiel, setze dich hin, jeden Tag, und sage dir: Lust zu was ist eine gute Sache. Und schreibe es.

Namentlich
Setze deinen Namen unter deinen Text. Es wird geklaut. Überall sind Schnäppchenjäger. Schon seit ewigen Zeiten.

Nervenpunkt
Schreiben darf die Nerven aufrütteln. Schreiben soll an den Nerven rütteln. Schreiben kann die Grenze überschreiten. Ja, nur wenn Grenzen überschritten werden, trifft Schreiben meistens zu. Was zutrifft, das ist der Nervenpunkt. Was nicht trifft, trifft auch nicht zu.

Oberlehrer
Schreibe dem Oberlehrer einen Drohbrief. Oder besser: Schreibe das Porträt des Oberlehrers in dir.

Persönlich
Ich schreibe immer persönlich. Denn wenn ich nicht persönlich schriebe, wer sollte es sonst für mich tun. Es wäre dann ja unpersönlich. Ich kann es nur persönlich, auch mit anderen. Was denn sonst. Wir schreiben doch alle persönlich.

Umwege
Umwege nehme ich in Kauf. Schreiben ohne Umwege geht nicht. Es gibt keine Schreib-Einbahnstraßen. Beim Schreiben kann jeder Seitenweg zur Allee der Kosmonauten werden.

Zunft
Deshalb vergesse ich auch jede Zunft. Die Zunft der Schreiber beschränkt deine Handschrift. Vergesse jede Zunft. Ich schreibe zünftig, aber nicht nach irgendeinem Zunftstil.


Und weil immer wieder gefragt wird: „Was bitte ist denn die romantische Ironie?“,

hier das P.S. zur Romantik und ihrer Ironie:

Romantik und ihre Ironie

Wie halte ich es mit der romantischen Ironie?

Nicht so ganz ernst. Also nicht so auf puren Witz getrimmt. Romantische Ironie, ist es nicht das Augenzwinkern des schreibenden, des malenden, des gestaltenden Menschen, in dem was er schreibt, malt, gestaltet zu zeigen, dass er schreibt, malt, gestaltet? „Was der Maler malt, ist ein Bild“, sagt, wenn ich mich richtig erinnere, ein Komponist. Ist es Arnold Schönberg? Ich glaube ja. Er meint, wenn du auf einem Bild eine Kuh erkennst, um Gottes Willen, meine nur nicht, das sei eine Kuh. Was du da siehst, das ist Farbe auf Leinwand. Was du siehst, ist keine Kuh, was du siehst, ist ein Bild. Gemacht, produziert, vielleicht, um mit der Wirklichkeit zu spielen. Also: romantische Ironie hat für mich damit zu tun, dass sich der „Künstler“ zu erkennen gibt als gestaltende Figur. Romantiker spielen mit der Wirklichkeit. Sie schaffen eine neue Wirklichkeit. Sie bilden nicht eine Wirklichkeit ab. Was bitte ist die Wirklichkeit? Wenn Alfred Hitchcock in einem Film von Alfred Hitchcock als Alfred Hitchchock einen Bus besteigt, ist das nicht romantisch? Ist das nicht ironisch? Alle warten. Achtung, jetzt kommt gleich Hitchcock. Aber natürlich nicht wirklich, nur vorne auf der Leinwand.

Ein romantischer Schreiber, eine romantische Schreiberin? Ja, die schauen sich beim Schreiben immer selber zu und geben dem Text ein bisschen Zucker. Ironischen. Tu nicht so realistisch, du Text. Wechsle mal deine Perspektive. Bringe ein Wort als Kontrapunkt, ein geheimes Wort, zum Beispiel „Provinz“. Und es kann sein, dass der Text sich danach verstädtern lässt, ganz rauh (die Reformer schreiben rau) und laut wird. Oder umgekehrt in einen pfälzischen Rhythmus kommt.

Verliere ich mich? Kann sein. Romantik hat was Entziehendes. Ach. Man kann vor lauter Ironie melancholisch werden. Aber sind nicht Melancholiker auch Romantiker?

Claus Mischon